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Bernhard Wehren, Leiter Fachstelle Seeregulierung, Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern

Extremwetterlagen haben in jüngster Zeit vermehrt Hochwasser in den Schweizer Flüssen und Seen verursacht. Im Sommer 2021 erreichte der Bielersee einen neuen Rekordpegelstand seit dem Abschluss der 2. Juragewässerkorrektion in den 1970er-Jahren. Bernhard Wehren von der Abteilung Gewässerregulierung des Kantons Bern erwartet, dass solche Hochwasser in Zukunft vermehrt auftreten könnten.

«Wir müssen uns auf weitere Extremereignisse vorbereiten»

Bernhard Wehren, Leiter Fachstelle Seeregulierung Amt für Wasser und Abfall (AWA) sitzend im Kontrollraum
Bernhard Wehren, Leiter Fachstelle Seeregulierung Amt für Wasser und Abfall (AWA) des Kantons Bern

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Ihre berufliche Tätigkeit im Rahmen der Seeregulierung?

Ein direkter Zusammenhang zum Klimawandel ist schwierig nachzuweisen. Es gibt eine Häufung von extremen Hochwassern, aber auch von Phasen der Trockenheit. Das entspricht den von der Wissenschaft vorausgesagten Folgen des Klimawandels.

Lässt sich die Entwicklung belegen?

Die Hochwasser von 2007, 2015 und 2021 am Bielersee waren Ereignisse, wie wir sie bisher statistisch etwa alle 50 bis 100 Jahre einmal erwartet haben. Die Häufung weist auf eine Veränderung hin. Wir werden in den nächsten Jahren sehen, ob der aktuelle Trend anhält.

Sind Hochwasser zu allen Jahreszeiten möglich?

Es gibt je nach Jahreszeiten verschiedene Szenarien. Mit der Klimaerwärmung werden extreme Niederschläge im Sommer wahrscheinlicher, weil warme Luft mehr Wasser aufnehmen kann. 2021 hatten wir Glück, dass wir vor einer Katastrophe wie in Deutschland verschont geblieben sind. Im Januar/Februar und dann erneut im Dezember 2021 war die Lage anders: Zuerst gab es grosse Schneemengen bis in tiefe Lagen. Darauf folgten starke Temperaturanstiege und Niederschläge. Regen und gleichzeitig Schneeschmelze können rasch extreme Abflussmengen verursachen.

Gibt es abgesehen vom Wetter andere Ursachen von Hochwassern, etwa die zunehmende Versiegelung von Böden?

Die Bodenversiegelung kann die Situation lokal stark beeinflussen. Auf die Wassermengen und die Pegelstände der Seen ist der Einfluss geringer. Auch unversiegelte Böden können bei extremen Starkniederschlägen nicht mehr alles Wasser aufnehmen. Dadurch kommt es vermehrt zu extremen Abflussspitzen.

Was passiert, wenn die Klimaerwärmung anhält und die Gletscher verschwinden?

Die Gletscher sind riesige Wasserspeicher, die unsere Flüsse vor allem im Juli und August mit Wasser versorgen. Ohne sie werden die Abflussmengen im Spätsommer eher zurückgehen. Insgesamt dürften die Niederschlagsmengen übers Jahr aber etwa gleichbleiben. Der Unterschied wird sein, dass der Schnee des Winters gleich wieder wegschmilzt und nicht als Gletschereis gespeichert wird. Das könnte zu höheren Abflussmengen im Winter und im Frühjahr führen.

Was können wir tun, wenn sich die Hochwasser am Bielersee häufen? Die Abflusskapazität der Aare ausbauen?

Theoretisch könnte das helfen. Nur ist die Umsetzung sehr schwierig. Es reicht nicht, die Abflusskapazität zum Beispiel nur bis Brügg zu erhöhen. Damit es auch weiter flussabwärts nicht zu Überschwemmungen kommt, müsste man die Aare bis hin zum Rhein ausbauen. Es ist fraglich, ob eine solche technische Lösung umsetzbar, finanzierbar und vom Kosten-Nutzen-Verhältnis her überhaupt sinnvoll wäre.

Welche Alternativen gibt es?

Wir müssen die Gefahrenkarten berücksichtigen und bedrohte Objekte gezielt schützen. In Thun etwa haben sich 2021 die neuen mobilen Schutzvorrichtungen sehr bewährt und grosse Schäden in der Innenstadt verhindert. In gefährdeten Gebieten sollte man möglichst nicht mehr bauen. Wir müssen mit weiteren Extremereignissen rechnen und uns darauf vorbereiten.

Bernhard Wehren

Bernhard Wehren ist nach seinem Geografiestudium und der Promotion im Spezialgebiet Hydrologie vor 13 Jahren zur Abteilung Gewässerregulierung im Amt für Wasser und Abfall (AWA) des Kantons Bern gestossen. Dort leitet er den Fachbereich Seeregulierung.

Hauptaufgabe der Abteilung Gewässerregulierung ist die Regulierung der Pegelstände der grossen Seen entlang der Aare. Dies geschieht von der Leitstelle in Bern aus mit der Fernsteuerung der Regulierschützen an den Aareausflüssen am Brienzersee (Interlaken), am Thunersee (Thun) und am Bielersee (Port). Der Pegelstand des Bielersees bestimmt auch die Pegelstände des Neuenburger- und des Murtensees. Die drei Jurarandseen bilden seit den Juragewässerkorrektionen des 19. und des 20. Jahrhunderts eine «hydrologische Einheit». Das heisst, dass die Pegelstände der drei Seen an einer einzigen Stelle, im Regulierwehr Port, gesteuert werden. Bei Hochwasser wird der Abfluss im Nidau-Büren-Kanal so begrenzt, dass die untenliegenden Gebiete entlang der Aare nicht überschwemmt werden. Grundlage der Seeregulierung ist eine interkantonale Vereinbarung zwischen den Kantonen Freiburg, Waadt, Neuenburg, Bern und Solothurn.