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Marguerite Weidauer-Wallenda

Marguerite Weidauer wurde am 24. Juli 1882 als Marguerite Wallenda in Mainz geboren. Die deutsche Staatsangehörige liess sich in der Schweiz nieder und starb am 15. Juni 1972 in Bern. Sie war bekannt als Besitzerin der ersten Achterbahn in der Schweiz1.

Kindheit und Ausbildung

Marguerite Weidauer-Wallenda stammt aus einer Schaustellerfamilie. Ihr Vater, Philipp Wallenda, besitzt ein Wachsfigurenkabinett und Zirkusfiguren und ihre Mutter, Anna Suter, ist Seiltänzerin. Die Familie zieht nach Biel, während Marguerite noch ein Kind ist. Dort lernt sie ihr Handwerk. In dieser Zeit war die Stadt Biel beliebter Zwischenhalt für Schausteller und Reisende. Clown Grock – ein weiterer bekannter Bieler – nannte die Stadt Biel «die unbürgerlichste Stadt der Schweiz»2.

Marguerite Weidauer-Wallenda absolviert in Biel die Schulen. Rasch erlernt Sie den Bieler Dialekt sowie die Sprachen Französisch und Italienisch. Gerne wäre sie Ärztin geworden, aber ihr Vater ist dagegen3.

Familienleben

1908 heiratet sie Heinrich Weidauer (1874–1941). Auch er ist Schausteller und Dompteur. Das kinderlose Ehepaar erwirbt 1934 das Bieler Burgerrecht. Seit 1910 hat Marguerite Weidauer-Wallenda das Schweizer Bürgerrecht und ist in Les Breuleux heimatberechtigt. Nach dem Tod ihres Gatten im Jahr 1941 leitet sie ihr Schaustellerunternehmen während 28 Jahren alleine weiter.

Pionierin des Kinos

Die erste Leidenschaft von Marguerite Weidauer-Wallenda war das Kino, das zu jener Zeit eine neuzeitliche Technik darstellte. Die Geschichte sagt nichts darüber aus, ob sie am 10. März 1897 die erste öffentliche Vorführung von Kurzfilmen (auch «lebende Bilder» genannt) der Gebrüder Lumière in Biel besuchte. Seit ihrem 16. Lebensjahr ist sie von der Filmtechnik fasziniert. Sie schliesst mit Georges Hipleh-Walt einen Vertrag über das Mieten einer Kamera und eines Projektors ab. Georges Hipleh-Walt war der erste Besitzer eines dauerhaften Kinos in der Bieler Nidaugasse4, 5, 6

1905 kauft sich Marguerite Weidauer-Wallenda eine Kamera, mit welcher sie durch die Schweiz tourt. Das Besondere am Wanderkino von Marguerite Weidauer-Wallenda ist, dass sie Fussgängerinnen und Fussgänger auf der Strasse filmt und anschliessend die Filmrollen in Paris entwickeln lässt. So kann sie die Filme dem Publikum 36 Stunden später bereits zeigen. Dieses strömt in Scharen zu ihren Vorführungen. Sie zeigt ihre Filme auf Marktplätzen und an Karnevalsveranstaltungen. Es scheint, dass Jahrmärkte vor dem Bestehen dauerhafter Kinosäle eine wichtige Rolle gespielt haben, um das Kino einem breiten Publikum zugänglich zu machen7.

Im September 1912 wird sie offiziell und exklusiv beauftragt, den Besuch des deutschen Kaisers Wilhelm II. in der Schweiz zu filmen. Dieses Zeitdokument wird Teil der Geschichte des Schweizer Films; das Archiv erwähnt jedoch den Namen der Autorin/des Autors nicht8.

«Madame» Schaustellerin

Marguerite Weidauer-Wallenda bleibt vor allem als Schaustellerin berühmt. Als exzentrische Persönlichkeit, die immer einen Hut trägt und sich «Madame» nennt, zieht sie mehrere Jahrzehnte lang mit ihren Attraktionen über die Rummelplätze Europas. Im Jahr 1921 kaufen sie und ihr Mann die erste Achterbahn der Schweiz. Die Bahn wird in Berlin in Auftrag gegeben und von Mack (der «Europapark-Familie») hergestellt. Sie wiegt 110 Tonnen und besteht aus 580 Metern Schiene mit kanadischen Douglasienholzwagen. Sie kostet rund 180’000 Franken. Eine Fahrt auf dieser Bahn dauert 80 Sekunden. Der Eintrittspreis – der während der gesamten Schausteller-Laufbahn von Marguerite Weidauer-Wallenda gleich blieb – beträgt 1 Franken für Erwachsene und 50 Rappen pro Kind. Die Schaustellerin hatte ein grosses Sicherheitsbewusstsein und hatte mit ihren Attraktionen nie einen Unfall. Die Achterbahn wird in Anwesenheit von Marguerite Weidauer-Wallenda das letzte Mal 1968 an der Bieler Braderie eingesetzt. 1971 wird die Bahn versteigert und von drei Luzerner Lunaparks gekauft, aufgefrischt und einige Male benutzt, bevor sich ihre Spur verliert.

Mit ihrer Achterbahn tourt Marguerite Weidauer-Wallenda durch die Lunaparks. Sie hält mindestens an zehn Stationen pro Jahr und verbringt mindestens eine Woche in den grössten Städten der Schweiz. In der Zwischenkriegszeit ist sie sogar in Deutschland – in Stuttgart und München – präsent. Sie startet die Saison im März an der Bieler Fasnacht und beendet sie im November am Berner Zybelemärit. Einige Quellen erwähnen auch andere Attraktionen auf dem Weidauer Messegelände, so auch Autoscooter.

1952 wird Marguerite Weidauer-Wallenda Präsidentin des Schweizerischen Schaustellerverbandes. Sie vertritt dort die Interessen ihres Berufsstandes in den Verhandlungen zum Schweizer Arbeitsrecht.

Tod

Marguerite Weidauer-Wallenda wohnt an der Ländtestrasse 13 in Biel. Am 26. März 1969 verkauft sie ihr Grundstück und ihr Haus, um sich wieder in einem Wohnwagen einzurichten. Sie verbringt die letzten Jahre ihres Lebens in diesem Wohnwagen, welcher auf dem ehemaligen Gelände ihrer Achterbahn in Nidau steht. Sie verstirbt 1972 in der Notfallklinik in Bern.

Marguerite Weidauer-Wallenda ist die dritte Frau, welcher im Bieler Jahrbuch ein Nachruf gewidmet ist.

Im Jahr 1974 wurde der Gerichtsprozess um ihr Erbe (im Wert von 1,5 Millionen Franken) abgeschlossen mit folgendem Urteil: Walter König erhält 90 % und der im Testament genannte ehemalige Mitarbeiter 10 % ihres Vermögens.

Seit dem Jahr 2000 trägt in Biel – im Wohnquartier Möösli – eine Strasse ihren Namen9, 10, 11.

Das Foto zeigt das Strassenschild mit Namen Marguerite-Weidauer-Weg

Hinweise und Referenzen

Dieser Text wurde ebenfalls auf Wikipedia veröffentlicht. Er unterliegt daher im Gegensatz zu den übrigen Inhalten der Website der Stadt Biel keinen Publikationsbeschränkungen.

1 Historisches Lexikon der Schweiz und Beiträge im Bieler Tagblatt und Journal du Jura

2 Nekrolog im Bieler Jahrbuch 1972 von Hedwig Schaffer

3 Historisches Lexikon der Schweiz und Bourquin Werner, Bourquin, Marcus, Biel – Stadtgeschichtliches Lexikon, Biel

4 William Piasio, Die Bieler Pioniere des Kinos, Bieler Jahrbuch 1991, S. 20–32

5 Antonia Jordi, in: Das Leben der Frauen. Des itinéraires de voyageuses, Bienne 2018, S. 50–54 / Weltsichten.
Wenn Frauen reisen, S. 52–56

6 Nekrolog im Bieler Jahrbuch 1972 von Hedwig Schaffer.

7 William Piasio, Die Bieler Pioniere des Kinos, Bieler Jahrbuch 1991, S. 20–32

8 Beitrag Wikipedia, Visite de Guillaume II en Suisse

9  Beitrag von Radio Télévision Suisse RTS

10 Historisches Lexikon der Schweiz

11 Zitat Kästli in: Das Leben der Frauen. Des itinéraires de voyageuses, Bienne 2018, S. 50–54