Der berühmte Schriftsteller Robert Walser wurde am 15. April 1878 in Biel geboren. Lange Zeit wurde als genauer Geburtsort fälschlicherweise die Kanalgasse angegeben. Recherchen ergaben, dass sich dieser in Wirklichkeit an der General-Dufour-Strasse 3 befindet. Um diesen Fehler zu korrigieren und die Erinnerung an Robert Walser nachhaltig im öffentlichen Raum festzuhalten, wurde dort am 15. April 2021 durch die Stadt Biel und die Stiftung Schweizerische Plastikausstellungen eine Tafel angebracht.

Bei berühmten Dichtern kommt es selten vor, dass über den Ort ihrer Geburt lange Zeit Unklarheit herrscht. Bei Robert Walser (1878–1956) aber dauerte es nach seinem Tod fast vier Jahrzehnte, bis man die korrekte Adresse herausfand.

Diese Tatsache wirft ein bezeichnendes Licht auf Walser und seine Geburtsstadt. Zum einen verlief sein Leben meistenteils am Rande der Gesellschaft; Erfolg hatte er nur in den Anfangsjahren, war dann aber bald aus der Aufmerksamkeit der literarischen Öffentlichkeit verschwunden, ehe er die letzten 27 Lebensjahre vergessen in der Psychiatrie zubrachte. Als Autor schien er gescheitert, so dass sich niemand für seine Biographie interessierte.

Zum anderen aber war auch die Bieler Entwicklung speziell. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Stadt so rasch, dass man mit ihrer genauen Kartierung kaum nachkam. Zunächst war sie nach französischem Muster in Quartiere eingeteilt, welche nach Farben bezeichnet (gelb, blau, rot etc.) und deren Häuser der Reihe nach durchnummeriert waren. Als die Zahl der Häuser und Strassen rasant wuchs, nummerierte man mehrfach neu, ehe man schliesslich zum deutschen System mit Strassennamen und Hausnummern überging. Dabei hatte die historische Dokumentation keine Priorität – schliesslich verstand man sich als «Zukunftsstadt». 

Als Robert Walser am 15. April 1878 auf die Welt kam, galt noch das französische Nummernsystem. Aber welches? Schwer zu entscheiden. Klar war nur, dass Walser im Haus Gelbquartier 113 das Licht der Welt erblickt hatte. Zunächst lokalisierte man das Haus in der Kanalgasse 30, wo jahrelang eine entsprechende Plakette hing. Das war nach dem Nummernschema, das man erwischt hatte, schon damals falsch, weil es sich nicht um das östliche, sondern um das westliche Eckhaus Collègegasse/Kanalgasse hätte handeln müssen. 

Da zwei Jahre vor Walsers Geburt jedoch ein neues Nummernschema in Kraft getreten war, lag der richtige Ort an ganz anderer Stelle: an der Dufourstrasse 3. Dies nun war ein besonderes Haus, denn es gehörte Alexander Schöni (1796–1880), dem Führer der «Radikalen», d.h. der republikanisch-freisinnigen Partei in Biel. In seinem Haus gingen in den 1830er und 1840er Jahren exilierte Revolutionäre aus Italien, Deutschland und Polen ein und aus, so dass es im Volksmund «Revolutionärs-Salon» genannt wurde. Da Walsers Grossvater Johann Ulrich Walser (1798–1866) in gleicher Richtung politisierte, könnten hier Verbindungen bestanden haben. Nachgewiesen ist die zwar nicht, doch in jedem Fall dürfte Robert Walser der einzige Schweizer Dichter sein, der in einem «Revolutionärs-Salon» zur Welt kam.

Das Haus wurde 1926 jedoch abgerissen, um einem Bankgebäude Platz zu machen. Auch darin mag man ein Sinnbild erblicken: Nicht die Revolutionäre, nicht die Dichter, sondern die Banken prägten und prägen die moderne Schweiz.

Bernhard Echte
Ehemaliger Geschäftsführer des Robert-Walser-Archivs
Ehemaliges Mitglied des Vorstandes der Robert-Walser-Gesellschaft

Medienmitteilung der Stadt Biel vom 15.4.2021

Mehr Informationen über Robert Walser auf der Website des Robert Walser Zentrums und von Wikipedia