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Konstruktive Diskussion zur Bedeutung des Bieler Industrieerbes

In den vergangenen Monaten wurde die Frage über das bauliche und industrielle Erbe der Stadt Biel Gegenstand öffentlicher Diskussionen, insbesondere nach dem Abriss der ehemaligen Mikron-Fabrik. Am Donnerstag, 19. Januar 2023 fand ein Treffen des Stadtpräsidenten Erich Fehr mit dem Komitee reUsine zu diesem Thema statt. Zusammen mit der Stadtplanerin Florence Schmoll betonte Erich Fehr die Wichtigkeit der industriellen Vergangenheit Biels sowie die Notwendigkeit, im Hinblick auf den aktuellen Klimawandel die bestehenden Bauten möglichst weiter zu nutzen. Er erinnerte ausserdem an die baurechtlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz und an das Gewicht, das dadurch den privaten Grundeigentümerinnen und -eigentümern zukommt.

Der laufende Abbruch der ehemaligen Mikron-Fabrik im Bereich des Brühlplatzes hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Reaktionen seitens der Bevölkerung ausgelöst. Tatsächlich verschwindet damit ein Teil Bieler Industriegeschichte, um Platz für neue Gebäude zu schaffen. Erich Fehr wies aber auch darauf hin, dass das künftige Projekt qualitativ hochwertig ist und das gesamte Quartier mit der Neugestaltung der Alleestrasse eine Aufwertung erlebt. Er erinnerte ebenfalls daran, dass die neue Überbauung, welche durch die Grundeigentümerin realisiert wird, einen umfangreichen Planungsprozess nach demokratischen Grundsätzen und entsprechenden Qualitätskriterien durchlaufen hat, bevor sie 2019 von der Bieler Stimmbevölkerung gutgeheissen wurde (siehe Kasten unten).

Das Komitee reUsine setzt sich für den Erhalt und eine sinnvolle Umnutzung von Industriebauten ein und bedauert entsprechend ihren Abbruch. Die Geschichte der Industrie prägt die Identität der Stadt und dabei spielen die Fabrikareale eine wichtige Rolle. «Alle, Behörden, Eigentümer/innen und Bauherren sind aufgerufen, die Bedeutung dieser Bieler Industrie-Ikonen als Orte der Identität und der Nutzungsvielfalt zu erkennen und die Potenziale dieser Areale ohne radikalen Abriss zu nutzen», schreibt reUsine. Das Komitee reUsine fordert von der Stadt Biel ein Konzept, wie künftig in Planungs-, Baubewilligungs-, und Wettbewerbsverfahren dem Erhalt von quartier- und stadtbildprägenden Bauten der Industriebaukultur stärker Rechnung getragen wird.

Erich Fehr teilt diese Absicht: «Das Bieler Industrieerbe liegt mir am Herzen, denn es bildet die Grundlage für das, was wir sind, und für die Werte unserer innovativen und weltoffenen Arbeiterstadt, sowohl in Bezug auf ihre Exporte wie auch auf ihre Bewohnerinnen und Bewohner.» Deshalb beabsichtigt die Stadt, in den kommenden Jahren dem Industrieerbe, insbesondere der Uhrenindustrie, über die baurechtlichen Fragen hinaus einen bedeutenderen Stellenwert einzuräumen.

Zukunftsfähige Weiterentwicklung der Stadt

Die Erstellung von Neubauten oder der Bau neuer Strassen und Leitungen sind mit einem erheblichen Energieverbrauch und hohen Kosten verbunden. Deshalb hat sich die Stadt Biel zum Ziel gesetzt, neue Quartiere, wenn immer möglich auf der bestehenden Struktur zu planen, um von den verfügbaren Infrastrukturen zu profitieren und die Bauten so lange wie möglich nutzen zu können.

In diesem Sinne betont Florence Schmoll, Leiterin der Abteilung Stadtplanung, die Wichtigkeit, das bauliche Erbe weiterzuentwickeln, umzunutzen, zu ergänzen, anzupassen oder zu sanieren, damit es den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen entspricht, insbesondere hinsichtlich Energie und Nachhaltigkeit, dabei aber gleichzeitig die geschichtliche Verwurzelung zu bewahren. «Aus der Kombination von Alt und Neu kann Hochwertiges und eine grosse Vielfalt entstehen, dies setzt jedoch seitens aller am Bau Beteiligten auch viel Wille und Kreativität voraus», betonte sie.

Strenger gesetzlicher Rahmen

Dies trifft umso mehr zu, als die übergeordnete Gesetzgebung (Kanton und Bund) dem Eigentumsrecht einen sehr hohen Stellenwert beimisst und den Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern weitgehende Rechte einräumt. «Und damit auch die entsprechende Verantwortung», betont Erich Fehr. Die Gemeinde kann daher den Abriss eines Gebäudes nicht verhindern, wenn dieses auf kantonaler Ebene nicht geschützt ist (was bei der Mikron-Fabrik der Fall war). Ein vorgängiges Abbruchsverbot für ein Gebäude kann auch nicht in Erwägung gezogen werden, da jede Situation einzeln beurteilt werden muss. Jede grössere baurechtliche Änderung durchläuft jedoch ein Planungsverfahren, bei dem alle Betroffenen informiert werden und Organisationen wie der Schweizer Heimatschutz, Pro Natura oder der VCS sowie direkt betroffene Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer sowie weitere Personen die Möglichkeit erhalten, mit der Planungsbehörde das Gespräch aufzunehmen. Erst danach und auf der Grundlage einer demokratisch validierten Regelung kann die Grundeigentümerschaft mit dem Bau beginnen.

Aktive Kollaboration

Die Stadt Biel unterstützt den Standpunkt von reUsine grundsätzlich – im aktuellen Kontext stellt sich aber eher Frage des «Wie» und nicht des «Warum». Das Komitee reUsine und die Stadt Biel sind sich einig, dass es wichtig ist, Grundeigentümerschaften, Investoren, Planerinnen und Planer sowie die Bevölkerung auf die Bedeutung des baulichen Erbes sowohl in Bezug auf die Geschichte wie auch die Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Auf dieser Ebene kann reUsine einen erheblichen Beitrag leisten.

Dazu wurde vereinbart, dass die Stadt Biel und reUsine sich wieder treffen werden, um die Überlegung zu vertiefen und weiterzuentwickeln.

Planungs- und Bauprozess - Beispiel Bereich «Brühlstrasse» (Bereich der ehemaligen Mikron-Fabrik)

2015 Erlass einer Planungszone, um den Bau einer Tankstelle zu verhindern

  • Sept. 2015 Beschluss des Gemeinderates infolge einer Bauvoranfrage für den Teilbereich Nord
  • Okt. 2015 Öffentliche Auflage für die Planungszone, gefolgt von einer Einsprache des Grundeigentümers des Teilbereichs Nord

2016 Gespräche mit der Grundeigentümerschaft sowie Vorstudien

2017 Städtebaulicher Studienauftrag gemäss SIA 143 mit Beteiligung von drei Bieler Architekturbüros und einem aus Basel

2018 Erlass einer neuen Zone mit Planungspflicht

  • Jan. 2018 Öffentliche Information und Mitwirkung, gefolgt von sechs Stellungnahmen von zwei betroffenen Grundeigentümern sowie von vier im Bereich Mobilität und Umwelt tätigen Organisationen (VCS, Netzwerk Bielersee, Pro Natura Seeland und WWF Bern)
  • Sept. 2018 Öffentliche Auflage für die neuen Zonen, gefolgt von einer Einsprache des Grundeigentümers des Teilbereichs Nord (Rückzug nach Gesprächen) und drei Stellungnahmen seitens der SBB, des VCS und der VB.
  • Okt. 2019 Volksabstimmung

2019 Städtebaulicher Studienauftrag gemäss SIA 143 mit Beteiligung von zwei Bieler Architekturbüros und einem aus Zürich

2021 Erlass der Überbauungsordnung «Brühlstrasse Süd» basierend auf der Planung von 2018

  • Sept. 2021 Öffentliche Auflage, ohne Einsprache
  • Nov. 2021 Genehmigung durch den Gemeinderat, anschliessend durch den Kanton im Januar 2022

2021 Erteilung der Abbruchbewilligung

  • Aug./Sept. 2021 Öffentliche Auflage, gefolgt von einer Einsprache eines benachbarten Grundeigentümers
  • Nov. 2021 Entscheid der Behörde zur Erteilung der Baubewilligung

2022 Erteilung der Baubewilligung

  • April 2022 Öffentliche Auflage, gefolgt von Einsprachen zwei benachbarter Grundeigentümer
  • Juni 2022 Entscheid der Behörde zur Erteilung der Baubewilligung